Meine zehn Tipps für eine perfekte Nachtwanderung 2024
Autor: Dirk Liesemer
1. Keine Angst vor der Dunkelheit: Mit Freunden die Nacht erkunden
Eine Nachtwanderung ist kein Krimi oder Horrorfilm. Auf meinen Streifzügen bin ich sehr selten anderen Menschen begegnet und diese waren dann oft selbst überrascht. Keine dieser Begegnungen war zum Fürchten, auch wenn man natürlich nie etwas ausschließen kann.
Die Angst vor der Dunkelheit ist tief in uns verankert. Zum einen sind wir von Filmen und Erzählungen geprägt. Gruselige Szenen spielen meist in dunklem, unübersichtlichem Setting. Zum anderen sieht man nachts schlechter, und es sind nur wenige andere Menschen unterwegs.
Mein Tipp: Zusammen mit Freunden die Nacht erkunden, in einer bekannten Region beginnen und in der Blauen Stunde aufbrechen oder einmal in aller Ruhe auf einer Decke in einem Park die aufziehende Dunkelheit beobachten.
Ich hatte vor allem in der kalten Jahreszeit draußen meine Ruhe. Selbst im Englischen Garten in München ist zu früher Abendstunde, also in der Dämmerung, nahezu nichts mehr los.
2. Wie man Augen, Füße und Nase beim Nachtwandern einsetzt
Spätestens nach einer halben Stunde haben sich die Augen selbst an die tiefste Finsternis gewöhnt. Zumindest sind dann schemenhaft Wege und Bäume erkennbar. Manchmal kann man sogar einzelne Grüntöne voneinander unterscheiden.
Eine Taschenlampe ist hilfreich, aber sie zerstört den Zauber. Und alles, was nicht ausgeleuchtet wird, wirkt umso schwärzer und damit umso bedrohlicher. Deshalb hatte ich nur für Notfälle oder für Einstellungen an meiner Kamera eine Lampe dabei. Ich habe sie fast nie gebraucht.
Wer nachts ohne künstliches Licht umherläuft, merkt bald, dass er langsamer unterwegs ist. Man geht vorsichtiger, bedächtiger und achtet mehr als tagsüber darauf, ob der Boden unter den Füßen eben oder wurzelig, hart oder weich ist. Um nicht umzuknicken: feste Schuhe und im Gelände am besten auch Stöcker verwenden.
Grundsätzlich sollte man seiner Nase vertrauen: Riecht man Liebstöckel (Maggi), sind oft Wildschweine nicht fern. Vor ihnen sollte man sich in Acht nehmen und nicht davonrennen. Auch Füchse hinterlassen penetrante Gerüche. Vor ihnen braucht man sich jedoch nicht zu fürchten.
3. Wann und wo es wirklich finster wird: Deutschlands dunkelste Orte
Viele Nächte sind erstaunlich hell, vor allem bei Vollmond oder in der Nähe größerer Ortschaften mit viel künstlichem Licht. In solcher Umgebung kann man hunderte von Metern sehen. Scheint der Mond, dann wirft man nachts sogar einen Schatten, was einem das Gefühl nimmt, im Dunkeln zu sein.
Sind Wolken am Himmel, wird das künstliche Licht einer Stadt viele Dutzende von Kilometern weit in die Landschaft gestreut, was dort zumindest für eine gewisse Dämmerung sorgt. Stichwort: Lichtverschmutzung.
Tiefste Finsternis gibt es trotzdem auch in Mitteleuropa noch: im Frühsommer im dichten Laubwald, wenn die Blätter noch jung sind, besonders bei einem bewölktem Himmel, der kein Mondlicht durchlässt. Mithilfe eines Luxmeters lässt sich das Dunkel präzise bestimmen.
Besonders dunkel ist es auch kurz vor Neumond. Er geht erst morgens auf und ist tagsüber am Himmel zu sehen. Sprich: Es ist eine mondlose und daher schön dunkle Nacht. Wann er auf- und untergeht und in welcher Phase er sich befindet, erfährt man auf timeanddate.de unter der Rubrik "Sonne & Mond".
Zu den dunkelsten Regionen in Deutschland zählen der Sternenpark Westhavelland, die Rhön, der Schwarzwald, die Schwäbische Alp, die Elbtalauen, die Nordseeinseln, das Erzgebirge, auch Finsterwald genannt. Auch im südlichen Ruhrgebiet kann es sehr dunkel werden, was mit einer ungewöhnlichen Geländeform zu tun hat, dem sogenannten Ruhrschicht-Rippenland.
In Österreich gibt es seit April 2021 den Sternenpark Attersee-Traunsee und in der Schweiz den Sternenpark Gantrisch.
Alles andere als dunkel ist es in einer verschneiten Landschaft bei Vollmond: Winternächte sind zwar ewig lang, aber bei Schnee bleibt es immerzu dämmrig, selbst wenn kein Mond zu sehen ist.
Nice to know: Zündet sich jemand eine Zigarette an, ist das im Dunkeln bis etwa zweihundert Meter weit zu erkennen.
4. Welche Navigationsgeräte braucht man für eine Nachtwanderung?
Mir wurde diese Frage häufiger gestellt, aber ich denke: Es lebe der Minimalismus! Ich hatte bei keinem Streifzug ein Navi dabei, nicht einmal ein Smartphone. Sie blenden und stören damit das Naturerlebnis.
Auch nachts kann man sich an Schildern orientieren. Man läuft allerdings schneller daran vorbei. Um sie lesen zu können, braucht man schon mal eine Taschenlampe.
Ich habe mir meist bereits tagsüber überlegt, wo ich nachts entlanglaufen wollte. Man muss sich konzentrieren, dem Gedächtnis vertrauen und entwickelt ein Gefühl für sein Tempo, für Wegmarken sowie Entfernungen, was man als Erfahrung nicht unterschätzen sollte.
Ja, hin und wieder habe ich mich kurz verlaufen, was den Ausflug aber umso erzählenswerter machte.
Tipps für Sternen-Apps finden sich weiter unten.
5. Wie gefährlich sind wilde Tiere? Verhalten gegenüber Wölfen und Wildschweinen
Die Angst vor einem Wolf lässt sich nicht zur Seite wischen, schon gar nicht, wenn man nachts durch ein Wolfsgebiet streift, von denen es hierzulande immer mehr gibt. Zumal klar ist, dass Wölfe besser sehen als Menschen.
Trotzdem: Wölfe sind scheu und die Gefahr einer Attacke gilt in Europa als äußerst gering, wie der Internationalen Tierschutz-Fonds im Jahr 2021 mitteilte (hier entlang zur englischsprachigen Studie). Für den Falle einer Begegnung – ganz gleich, ob tags oder nachts – heißt es in einer Aktualisierung vom 20. April 2021 unter anderem:
Ruhe bewahren und Wölfen die Möglichkeit geben, sich zurück zu ziehen. Wenn man sich unwohl fühlt, kann man sich groß machen, klatschen, die Wölfe bestimmt ansprechen oder rufen, oder sich langsam zurückziehen.
Deutlich gefährlicher können Wildschweine sein, besonders wenn im Frühjahr die Frischlinge zur Welt gekommen sind. Man erkennt die Tiere am Geruch von Liebstöckel (Maggi), der auch dann noch in der Luft liegt, wenn die Wildschweine wieder fort sind. Bei einer Begegnung gilt: nicht umdrehen und wegrennen, sondern ruhig zurückweichen und nicht zwischen ein Muttertier und ihre Jungen geraten.
Auf Nordseeinseln wie Amrum ist man vor Wildschweinen und Wölfen sicher. Unter anderem wegen bodenbrütender Vögel würden sie dort sofort abgeschossen. Wie überall gilt auch auf den Inseln: Nachts leise sein und auf den Wegen bleiben. Tiere brauchen Ruhe.
6. Zu welcher Jahreszeit lassen sich am besten die Sterne beobachten?
Eigentlich immer, viel wichtiger als die Jahreszeit ist das Wetter, wenngleich die Bedingungen im Winter eher besser sind als im Sommer. Dann ist die Luft häufiger klar und wolkenlos.
Wichtig ist, dass es wenig Wind gibt, nicht nur am Boden, sondern auch in höheren Atmosphäre, was ebenfalls eher im Winter der Fall ist, wenngleich der Klimawandel einiges durcheinanderwirbelt. Bei viel Wind scheinen die Sterne romantisch zu flackern.
Je nach Jahreszeit stehen am Himmel nicht nur bestimmte Sternenbilder, sondern auch Asterismen, also auffällige Sternkonstellationen: Frühlingsdreieck, Sommerdreieck, Herbstviereck und Wintersechseck. Übrigens ist der Große Wagen ein Asterismus (er ist nämlich nur ein Teil des Sternbildes Große Bärin).
7. Wann sind welche Sternbilder am Nachthimmel zu sehen?
Ganzjährig: Große Bärin, Andromeda, Giraffe, Kassiopeia, Kepheus.
Frühling: Bärenhüter, Löwe, Waage, Jungfrau.
Sommer: Adler, Leier, Herkules, Skorpion, Schütze.
Herbst: Wassermann, Widder, Fuhrmann, Fische.
Winter: Krebs, Zwillinge, Orion, Stier.
Internettipp: Auf der Seite timeanddate.de lässt sich nachschauen, wann welche Planeten aufgehen, welche Meteoriten aufglimmen und welche Sternbilder am Himmel stehen.
Eine nützliche App ist Sky View Lite, von der es eine kostenlose Basisversion gibt. Am besten kurz vor dem Rausgehen die App aufrufen, eine Hand voll Sternbilder samt Position am Himmel auswendig lernen und dann draußen danach Ausschau halten. Denn im Dunkeln auf ein Smartphone zu schauen, ist für die Augen unangenehm.
8. Wie geht gute Nachtfotografie? Stativ, Blende und Einstellungen an der Kamera
Zur Nachtfotografie existieren sehr gute und sehr umfangreiche Bücher, etwa aus dem dpunkt-Verlag, aber immer gilt:
Man braucht Windstille, klare Luft, ein Stativ, einen großen Sensor (mit einem Smartphone ist es noch immer schwierig). Hilfreich ist es, an der Kamera die Spiegelvorauslösung und den Selbstauslöser zu verwenden – und den Autofokus abzustellen.
Will man Sterne punktförmig abgebildet haben, sollte man nicht länger als 15 Sekunden belichten, sonst macht sich die Erdrotation bemerkbar und die Sterne erscheinen als kurze Striche. Bei anderen Motiven – etwa einem nächtlichen Städtepanorama – empfehlen sich längere Belichtungen, um ein Bild zu erhalten, das möglichst von vorne bis hinten scharf ist.
Ganz wichtig ist Geduld, man muss verschiedene Einstellungen, vor allem verschiedene Blenden und ISO-Werte, ausprobieren. Idealerweise verwendet man das Raw-Format und bearbeitet die Bilder mit einem Fotoprogramm am Rechner nach.
Und man sollte sich vorab über Wetter und Mondlicht informieren: Wann und wo genau geht der Mond auf, wie voll ist er, aus welcher Richtung beleuchtet er mein Motiv, und wann geht er wo unter?
Wer sich auf dieses Geduldsspiel einlässt, erlebt die Nacht ganz neu. Denn die Digitalkamera sieht eine Welt, die sich unserem Auge entzieht. Empfehlen will ich diese Artikelserie auf canon.de.
Auf meinen Lieblingsfotos sind Wolken zu sehen, die aufgrund der längeren Belichtungszeit – also 15 Sekunden – leicht verwischt und damit in Bewegung erscheinen.
9. Carpe noctem: Nachtwandern als Meditation
Nutze die Nacht! Klingt selbstverständlich, aber das zu lernen, ist nicht so einfach: Die Landschaft hat keine Farben, wenig Tiefe, nur schwache Konturen, oft ist es still und im Winter fehlen Gerüche, weil nichts blüht.
Man vermisst sinnliche Reize. Anders gesagt: Manch einem kann es schon mal langweilig werden.
Nach einiger Zeit merkt man jedoch, wie sehr man zur Ruhe kommt, viel mehr als bei einem Tagesausflug. Und weil jede Nacht einzigartig ist, sollte man sich immer mal wieder hinauswagen. Ist man allein unterwegs, begegnet man sich selbst, seinen Gedanken und Erinnerungen.
Schon beim ersten Streifzug habe ich gelernt: Nachtwandern ist weniger ein Abenteuer als Meditation.
10. Der Nachthimmel im Jahr 2023: Sterne, Mondfinsternisse, Meteoriten
Vom 3. auf den 4. Januar 2024: Meteorstrom der Quadrantiden mit 130 Sternschnuppen pro Stunde, am besten sichtbar in der zweiten Nachthälfte.
Vom 5. auf den 6. Mai 2024: In den Morgenstunden erreichen die Eta-
Vom 17. auf den 18. September 2024: Partielle Mondfinsternis.
Vom 13. bis 30. November 2024: Die Leoniden am Morgenhimmel, besonders am Morgen des 17. November mit 15 Meteoren in der Stunde. Sie sind ungewöhnlich schnell, rund 70 Kilometer pro Sekunde.
Vom 8. auf den 9. Oktober 2024: Draconiden, Sternbild Drache, schon nach Sonnenuntergang gut zu erkennen.
Vom 20. auf den 21. Oktober 2024: Orioniden – sichtbar im berühmten Sternbild Orion.